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Der Zorn des Utopisten

Hommage à Tomi Ungerer
Booklet-Fassung 28. November 2011

Gerd Breitenbürger


Es gibt ausgesprochen produktive Künstler in der europäischen Kulturgeschichte, deren Schaffenskraft im Grunde unverständlich ist. Nicht ihr Arbeitseifer scheint die Begabung für sich zu verwenden, sondern die Begabung hat von den Künstlern Besitz ergriffen. Honoré de Balzac schrieb an die hundert Romane, Rubens malte mit Hilfe von Gesellen eine sehr große Zahl hochformatiger Bilder. Man käme aber nicht auf den Gedanken sich zu fragen, ob sie ihr Thema erschöpft hätten, die Comédie humaine oder den Anspruch des Barock auf mythologische und historische Überhöhung der eigenen Kultur.

Bei 40 000 Zeichnungen plus x aus der Feder von Tomi Ungerer ist das anders. Der Gedanke drängt sich auf, dass eine Welt sorgfältig kartographiert werden, dass nichts ausgelassen werden sollte. Einmal, weil die wenigen seriellen Darstellungen in seinem Oeuvre zahlenmäßig keine Rolle spielen und meist Bewegungsstudien sind. Zum anderen, weil der erkennbare Drang, nichts auszulassen und das Leben vollständig zu verstehen, schon immer einen ganzheitlichen Ansatz voraussetzt. Auf ihn laufen die Produktionen perspektivisch zu, während sie ihr Eigenleben behaupten. Er hat die Möglichkeiten der Dinge und der Menschen auf dem Zeichenpapier verwirklicht sowie er die Realien nicht ausgelassen hat. Es ist alles Abbild, aber Abbild seines Inneren nach außen gewendet. Es ist alles pure, sichtbar gewordene Phantasie, die sich auch noch Konstrukte als Objekte selbst schafft. Wenn Phantasie realistisch sein kann, dann ist sie es hier. Sie blüht auf in der Präzision, wie man sie auch noch von futuristischen Weltentwürfen kennt.

Sprachlich, so lässt sich sagen, waren die Chinesen in der Sackgasse, als sie anfingen, mit Zeichen, die sie aus der Realität ableiteten, ihre Sprache aufzuschreiben. Jedes Zeichen musste ein Ideogramm sein, ein Bild für den Menschen, ein Bild für die Sonne. Man muss ihren Mut bewundern, das scheinbar Uferlose auf diese Weise anzupacken. Aber es war ein Kampf gegen die Mitteilungslosigkeit, der Kultur genannt wird. Als sie 50 000 Zeichen erfunden hatten, war das eher wie ein Zufall, nicht das zwingende Ausschöpfen einer realistischen Dimension. – Der Realismus von Tomi Ungerer beginnt hier erst mit dem schwierigen Schritt zum Symbolischen, in die Gedankenwelt. Es ist die Entdeckung eines Möglichkeitsraumes, für den seine künstlerische Metasprache eine Interpretation findet. Ihr Sinn wird nicht konventionell vorgegeben, sondern muss vom Betrachter geleistet werden, der gerade dann, wenn der Künstler ihn beeinflussen will, herausgefordert wird, seine Welt zu teilen. Vom Slogan bis zur umfassenden Botschaft wird alles einem Zeichen mitgegeben.

Realismus, auch der literarische, ist an seiner Treue zum Detail erkennbar. Bei Ungerer dient er einer Interpretationsdimension, die sich mit dem Denkbaren und Wünschbaren auseinandersetzt. Er bringt es auf das Maß des Menschlichen, das im Kontrastbild so recht zur Geltung kommt. Er findet es an einem Nirgendort, wo das Unmögliche machbar wird. Diese künstlerische Dimension schließt also das Denkbare mit ein, was nie Sache eines einfachen Bezugs auf die Wirklichkeit ist. Der Pragmatiker Mao Tse-tung tröstet sich und bleibt Realist: „Der Weg ist das Ziel“, während ein magischer Realist wie Tomi Ungerer die Vollständigkeit seines beschwörenden Rituals erfüllen muss, um sein Wunschziel wenigstens im ewigen Nirgendwo zu erreichen.

Wo ein Atelierkünstler leben lässt, hat Ungerer buchstäblich alles riskiert In seiner Welt, von den elementaren Dingen bis zu den anspruchsvollen Werten. Er hat sich bewegt und engagiert. Nicht in der Phantasie allein hat er manches Schwein mit dem Küchenmesser umgebracht („Es ist eine Mordsarbeit, ein Schwein zu schlachten…“ sagt er über „ Mr. Dennis“, den ersten) , um an seine Koteletts zu kommen, auf dem schnellen Weg der Phantasie allein jedoch hat er erledigt, was eine Sexmaschine bieten kann. Er wollte und will nichts geschenkt haben, und seinen geschichtlichen Hintergrund will er auch nicht vergessen. Wenn die üppigen Frauen „Marianne und Germania“ in aller Attraktivität miteinander tanzen, ist das für einen Franzosen und Elsässer wie Ungerer erlebte Geschichte, die zu einer Erwartung führt. Sie kommentiert zwei bittere Weltkriege und den Abgrund von Hass, der schlicht hieß: „Nie davon sprechen, immer daran denken.“ Seine Zeichnung spricht davon, das Daran-Denken zu vergessen.

Das Elend der Menschen, die miseria hominis, ist Treibsatz der Utopie. Realismus der Darstellung genügt da nicht, obwohl dem visuellen Medium höchste Wirksamkeit zukommt. Ironie und Sarkasmus und Groteske sind die Mittel, den stummen Schrei eines Bildes hörbar zu machen. Und die Quantität. Der „Petit Larousse“ hat das Motto „Ich säe in alle Winde“ und als Emblem die Löwenzahn-Pusteblume. Rastlos und fruchtbar zu sein treibt gerade den um, der sich einer Philosophie der Freiheit und Aufklärung verschrieben hat.

Die Ästhetik des Bildes garantiert dem Sinn ein zeitliches Fortleben und die eigentümliche Intensität der Kritik oder des Subversiven. Was als gedanklicher Gehalt des Symbolischen mit gemeint ist, muss erschlossen werden. Insofern handelt es sich auch um Gedankenbilder, die Sinnliches mit Sinn verbinden. Unser Denken bedient sich meist der Bilder und spricht dabei auch die Emotionen an. Manche Bilder wird man nicht mehr los, Gedanken, auch wenn sie Schleifen bilden, schon eher. Einen Frosch, dem man die Schenkel ausgerissen hat, vergisst man nicht als Zeichnung. Damit auch nicht die ganze Froschschenkel-Unkultur. Das Beispiel weist noch darauf hin, dass die Ästhetik des Hässlichen eine Wirkung erzielen kann, die die eines Harmonie-Schönen weit übertrifft.

In seinen Kinderbüchern kombiniert auch Tomi Ungerer die Bilder, bezieht sie aufeinander. Auf die Möglichkeit wollte er nicht verzichten, die seelischen Nuancen, die sich so darstellen lassen, „subliminal“ in die Herzen der Kinder zu schmuggeln. Dieser Ausdruck der Psychologie bezeichnet den Vorgang, wenn die in jedem Alter mögliche Infiltration der ungeschützten Seele gelingt. In der Sprache seiner übrigen Zeichen- und Bilderwelt zeichnet er mit ausgesuchter Feinheit und geradezu liebevoll das Rohe der Welt, das Schreiende, das Zarte, das scheinbar Belanglose. Im Gegensatz zu einem chinesischen Schriftzeichen und Ideogramm, das selbstredend nur allgemein sein kann, ist jede Zeichnung ein individueller Text, ein Gedicht, nie gängige Münze. Aber immer und an erster Stelle ein ästhetisches Ereignis. Wie eine Welt für sich, ist jede vollkommen und immun gegen die Reduktion auf einen rein typologischen Sinn. Wenn der Kater Probleme mit der Liebe hat, heißt es „Kein Kuss für Mutter“. Es ist der verweigerte Kuss für die Mutter, der besonders dem verweigernden Schmusekater selbst weh tut. Wer die Zeichnung seelenkundlich sieht, deutet sie unter Umständen als Fallstudie für das Einfordern von noch mehr Liebe durch trotzig- strafendes Verhalten gegenüber dem Liebesobjekt. Der eigentliche Zauber der Zeichnung ist aber nur zu erfahren, solange man nicht den analytischen Begriff an sie anlegt und nicht den Fall als Archetyp sieht, sondern gerade das wahrnimmt, was ihn übersteigt, die Situation eines Katers, der um Haltung ringt. Man könnte auch geneigt sein, philosophisch zu argumentieren. Liebe, sehr viel mehr Liebe will immer der Mensch, der seine Welt für ihren kalten Liebesentzug straft, nicht mit Verachtung, aber mit dem utopischen Gegenentwurf, der sie blamiert. Das wäre der Schritt von der Ästhetik zur Erkenntnis.

Die Formen im Werk Tomi Ungerers sind so einfallsreich wie die Inhalte. Von einem Rettungsring der Form, wie die Lyrik ihn einmal brauchte, kann keine Rede sein. Er hat sie immer gesprengt und mit ihr experimentiert. Der Rettungsring markiert hier schon mal die Stelle, an der der gute Geschmack untergegangen ist, der gute Wille aber nie und nicht die böse gute Absicht des Künstlers. Auch was der harschen Kritik unterliegt, erhält eine ausgesuchte Form. Das unerbittliche Porträt einer weiblichen „Fregatte“, wie die Franzosen überschminkte Wesen in einem gewissen Alter nennen, erscheint im barocken Goldrahmen. Die Form als ironische Garnitur, damit die Bosheit endgültig gelingt.

Wer seine Bücher aufschlägt, weiß, dass nie eine partielle Welt auf ihn zukommt. Und dass er sich fürchten muss, weil erstaunlich viel in ihr Platz hat. Man öffnet ein Buch, das auf die heilige Weihnachtszeit einstimmen soll. Und schon wirft der Nikolaus einen tadellosen Teufelschatten, freut sich als Kater über wie Ölsardinen eingelegte Mäuschen in der Dose. Betreibt klar Mädchenhandel mit Mädchen ohne Verpackung. Das Risiko, das Tomi Ungerer immer genommen hat, reicht er an den Betrachter weiter; denn Eindringlichkeit ist eines seiner Stilprinzipien, Rücksichtlosigkeit ist die Würze.

Ein Brillant wird in 64 Facetten feingeschliffen. Eine Welt mit 40 000 Brechungen lässt da viel Freiheit für rastlose Kunst eines Tomi Ungerer, der Tag und Nacht zu arbeiten scheint, der den schönen Glanz, das böse Funkeln unserer Welt herausarbeiten will. Ein Uhrmacher-Gen muss da am Werk sein, denn Präzision und Unermüdlichkeit und zupackende Kraft der Aussage erwirbt man nicht auf dem Schulhof in der Pause.

Es ist bekannt. Es sind die jungen Leute, die die Wörter immer neu erfinden, mit denen eine Höchstbewertung ausgedrückt und auch bald wieder ersetzt wird. „Ätzend“, „ein Hammer“, „supergeil“. Die älteren Ausdrücke verschleißen sie und auch die Erwachsenen tun es unbekümmert, das war schon immer so. Der schon damals erfolgreiche österreichische Schriftsteller Robert Musil kam in gebremste Ekstase, als er in einer Wiener Morgenzeitung las, das bekannte Rennpferd mit Namen „X“ sei genial und sei auch ein „Genie.“ Dabei muss Musil ganz offensichtlich angenommen haben, er sei bis dahin schon mehr als das lokale Genie gewesen. Von ganz oben geht die Wortreise nach ganz unten, oder, wie der römische Dichter Horaz vor 2000 Jahren feststellte, Wörter sind wie Münzen, die sich abnützen. Wer heute eine Ausnahmeerscheinung charakterisieren will, kommt daher in Schwierigkeiten. Philipp der Schöne, Karl der Hammer, man war in aller genügsamen Knappheit ehrlich und überzeugend. Heute muss man sein Wörterbuch revidieren. Man kann nicht mehr nominal definieren, Tomi Ungerer ist kein Trab- und auch kein Galopppferd trotz seines künstlerischen Tempos, oder doch beides, aber bleibt irgendwie ein Genie. Es hilft nichts. Man muss Revue passieren lassen, was er uns bedeutet. Denn jede Definition würde nur als Pauschalbegriff das Allgemeine über ihn ausdrücken. Interessant ist aber immer das Besondere, gerade weil es sich, zum Jubel und Elend seiner Interpreten, nicht ausformulieren lässt.

Das Neue ist ein Wert an sich, in den Erscheinungen der Evolution der Natur wie der Kultur. Das Neue hat Affinität zum Fortschritt, den es, mit dem, was es mit sich bringt, alimentiert. Die Wissenschaften wollen grundsätzlich das Neue und schaffen sich dazu neue Begriffe oder stehlen sie bei den Geisteswissenschaften, wobei sie sie bisweilen unbekümmert demolieren. Selten geht es auch anders herum. „Neotenie“ nennt der Biologe das Verpuppungsstadium, dem sich völlig Neues, der Schmetterling aus der Puppe nach langer Latenzzeit herausbildet. Tomi Ungerer hat 40 000 plus x mal das Neue zu Papier gebracht und war und ist ein solcher neotenischer Spätentwickler, dessen verlängerte Entwicklungschancen seiner Hochbegabung zugutegekommen sind und die er lustvoll zu einem seiner Lebensprinzipien gemacht hat. Man kann es Kreativität nennen, die ein Leben lang mit jeder Zeichnung das Neue hervorbringt und wenn man nicht vergisst, dass auf gleichem Niveau seine Kunst der Formgebung entwickelt ist, für die Technik, Inspiration, Erfahrung und ein Blick jenseits aller Kategorien zusammenwirken. Er ist aber auch ein Nestflüchtling, der schon mal gerne hocken bleibt und ist schon immer, „heute hier und morgen fort“ . Dass es den homo viator, den Menschen auf Wanderschaft, als echte Erfüllung dieses uralten Topos seit Beginn des europäischen Geistes noch gibt, enthüllt sich selten. Der preiswerte Linienflug auf die Malediven ist nicht damit gemeint. In der Phase, in der der junge Mensch sich am heftigsten entwickelt und auch die kindliche Fragehaltung des ‚Warum‘ nicht vergessen hat, ist Tomi verharrt, indem er sich auf den Weg gemacht hat. In seinem Schulheft 1943, 1. Halbjahr, im Alter von 12 Jahren, schreibt er: „Ich bin und heiße Hans Ungerer. Ich werde der Wanderer sein.“ Und seine Biographie „Die Gedanken sind frei“, der dieses Jugendmotto vorangestellt ist, beginnt fünfzig Jahre später so: „Ich habe den größten Teil meines Lebens im Ausland verbracht, in New York, in Kanada, jetzt lebe ich in Irland. Meine Wurzeln liegen im Elsass…“ Immer derselbe Trieb, dieselbe Frage und immer fort. Wer die Kinder und die Tiere so liebt, weil sie schön sind und weil sie das Nachdenken anregen, muss früh in Afrika beim Militärdienst beeindruckt gewesen sein, wie zäh und souverän und instinktsicher die Wüstenschiffe „alles bei sich tragen“, was sie für die Reise brauchen. Ausgerechnet die Kamelartigen als Vertreter stoischer Lebensphilosophie, wenn es darum geht, einem einleuchtenden Lebensbild treu zu bleiben. Dafür hat er einen Gedankenzusammenhang gefunden, den die römische Antike auf den kürzesten Nenner gebracht hat: Respice finem, schau auf das Ende, der dem Wandern einen philosophischen Horizont gibt. Mit „Majn Rueplaz“, dem jiddischen Lied, dass er so sehr liebt, ist immer gemeint, dass das Leben für ihn im Lichte der Ewigkeit steht. Du kannst dein Leben erst dann bewerten, wenn du deinen Ruheplatz erreicht hast. Wer alles bei sich hat, was er braucht, bei ihm werden es die Zeichenstifte und sicher eine entschiedene Lebensphilosophie gewesen sein, kommt weit und will auch weit den Bogen des Lebens ziehen. Einmal on the road, den Daumen am Straßenrand hoch, und man vergisst nicht, was es heißt, das Leben auf ein präzises Jetzt reduziert zu sehen, das sich zugleich in eine ungewisse Ferne spannt, dazwischen immer das überraschend Neue. Es ist kein Zufall, dass der große französische Dichter Rimbaud hier mit dem Dichterfreund Verlaine die Freiheit zum Greifen nah empfand, der man sonst nirgends begegnet, on the road.

Tomi Ungerer hat sich für viele Themen eine neue Sprache geschaffen, um seine Philosophie ohne systematischen und etwa glücklichen Abschluss als persönliche Sinndeutung des Lebens zu schreiben. Sie kreist immer wieder um ein „J’accuse“ und endet nirgendwo, weil das Leben so bunt wie im Kinderland und so brutal wie in der Menschenwelt ist. Nur dass hier die Anklage nicht einer militärischen Seilschaft, einem Offizierscorps gilt, sondern gleich dem verirrten Menschen, wie der erste Vers des Inferno der Göttlichen Komödie als Kerngedanken das Wesen des Menschen festhält,“ ….denn der rechte Weg war verloren“. Seine Philosophie erlaubt ihm einen moralischen Urzustand und das ist die Amoralität. „Anythhing goes“, des Kindes, das alles gelten lässt, nur nicht die Ungerechtigkeit. „Die Gedanken sind frei“, so sein der Kindheit gewidmetes Buch, so frei sind auch seine Gefühle und sein Verhalten. Es ist die Moralferne, die sich rechtfertigt aus der Enttäuschung über das Versagen jeder Moral. Der Mensch steht mit dem Rücken zur Wand, weil er in Notwehr den Verrat der Menschheit an Schönheit, Liebe, Friedfertigkeit und Mitleiden durchaus noch als sein eigenes Versagen begreift. Ihm bleibt nur der Möglichkeitsraum, an den ihn die Hoffnung anschließt. Tomi Ungerers Zeichnungen sind der Text dieser Philosophie der Eindringlichkeit, die wir auch Utopie nennen. Ihr Ausdrucksstil ist von der Kunst seiner Rhetorik bestimmt, deren Formenwelt immer und in erster Linie dem Prinzip ad rem, hart auf die Sache zu, entspricht. Ihr Pathos ist der Zorn.

Es ist nicht erst die hermeneutische Impotenz, wenn ein Text sich auf einen Text bezieht und ihn metasprachlich einholen will. Es sind schon viel früher die beschreibenden Ausdrücke, die es nicht schaffen, den zu behandelnden Gegenstand überhaupt vor Augen zu stellen, seine in ihm aufbewahrte Emotion und seine Gedanken sicher dem Leser zu vermitteln. Wenn der Psychologe sagt, dass wir die meiste Zeit des Tages damit beschäftigt sind, Gehörtes zu visualisieren, um es zu verstehen, dann muss das nicht immer im Sinn von Anschaulichkeit und Evidenz gelingen. Im Zweifelsfall und in gedanklicher Ökonomie entsteht in Konkurrenz dazu ein einziger kognitiver Inhalt, der alles zusammenzieht und eine vorläufige Bewertung erlaubt. Das mag den Geist durchaus befriedigen. Aber der Genießer schaut nicht nur auf das Etikett, er will den Wein und sein Bouquet.

Jede Anthropologie, ob biologisch oder philosophisch orientiert, will zu allgemeingültigen Aussagen über den Menschen gelangen. Deren ahistorische Langlebigkeit lässt sich belegen, wenn es schon in der Antike heißt, der Mensch sei des Menschen Wolf, „Ungeheuerlich ist vieles. Nichts aber ist ungeheuerlicher als der Mensch.“ So der griechische Tragödiendichter Sophokles aus dem Mund der Antigone. Die Philosophie ist Kummer gewohnt und so fasst sie lapidar zusammen, der Mensch sei ein Mängelwesen, stehe außerhalb, zu seinem Nachteil, seiner Instinkte. Was ihn daran hindere, das Tier-Mensch-Übergangsfeld endgültig zu verlassen. Dem pessimistischen Menschenbild, das die Antike kennt, steht die Hoffnung gegenüber, wenigstens in einer anderen Welt dem Jammertal den Rücken zu kehren. Der Ort heißt “Himmlisches Jerusalem“ oder Staat „Nirgendwo“, „Sonnenstaat“ oder wie hier, „Orbis pictus – die Utopie via negationis“, wo eine gezeichnete Welt über das Schreckutopische die wahre Utopie einfordert. Wenn nichts mehr hilft, das exemplarische, visuelle Lernen über die Sinne kann die Vernunft erreichen mit der Überzeugungs- und Überredungskraft der kalkulierten Bildargumente. Darum steht die ästhetische Vollendung seines Zeichenstifts im Dienste einer massiven Absicht, zu beeinflussen. Wer nicht hören will, muss fühlen, muss sehen, muss leiden und dann doch noch lernen. Eine Manipulation, die nur funktioniert, weil der Betrachter die Kunst nicht durchschaut, wenn die Ästhetik den hintergründigen Sinn transportiert. Natürlich ist es so: Die Maus ist immer der Täter, nicht die Schlange. Diese tut, was getan werden muss. Die Maus hat nur eine Ahnung, richtet sich aber nicht nach ihr.

Seine Zeichnungen sind Portraits der Dinge, der Natur und der Menschen. Während der Mensch seinen spontanen Ausdruck in Mimik und Gestik unterdrücken kann und kontrolliert und steuert, bewusst oder unbewusst, um seine Emotionen zu verbergen und den sozialen Umständen anzupassen, zeigen die Zeichnungen von Tomi Ungerer kein strategisches Interesse sondern immer die Wahrheit, die aber in der Kunst, aus Gründen der Logik, einen anderen Namen hat. Sie lügen nicht, weil sie nicht Emotionen vorgeben, die sie nicht haben, sondern zeigen allenfalls die Lüge selbst. Die Kunst zeigt das Wesen der Dinge unverstellt. Das ist ihr Können, ihr Zweck, ihr Adel. Die Dinge sind auch die Konstrukte der Phantasie. Sie werden im Geist konzipiert, in der Phantasie zu Bildern, in der Rezeption zu Wurfgeschossen, Juckpulver oder unerbittlicher Anklage. Die Themen sind prekär, bisweilen gehen sie bis zu einer radikalen Autopsie. Man könnte meinen, ihr Autor sei getrieben, könne gar nicht anders. In ihm denkt, fühlt und zeichnet es, als sei sein ästhetisches Schaffen von einem Unbewussten determiniert. Wer hier einer surrealen Grundannahme der Psychologie weiten Raum geben will, mag so denken. So abgefeimt, kalt aus heißer Emotion und systematisch hart kann aber kein persönlicher Traum und keine Ästhetik sein. Dass der Mensch denken, analysieren und im Text, im Bild festhalten kann, was er konzipiert, ist nicht surrealer, passiver Opfergang seiner unschuldigen Seele, sondern entspringt tragischer weise den Aktivitäten, aus denen sich gerade sein Scheitern ableitet und werden zu Inhalten des künstlerischen Ichs. Auch für den Künstler Tomi Ungerer gilt, dass nichts Menschliches und Unmenschliches ihm fremd sein kann. Der Unterschied ist nur, er sieht und benennt diese ominösen, inhaltlich zunächst nicht bestimmbaren Konkreta der Büchse der Pandora als Ergebnis seines Zeichenstifts. Und er spießt sie auf, sammelt sie, wie in den Anatomiearchiven Seltsames in Weckgläsern aufbewahrt wird. Nur wenn es eine Alternative gibt, können wir es überhaupt feststellen. Es ist die Welt des Kinderbuchs, des Liederbuchs, die Tomi Ungerer nie verlassen mochte, als einer, der, so gesehen, nie erwachsen werden wollte. Wer als Erwachsener darauf kommt, einer Schlange einen selbstgestrickten Schlauchpullover gegen die Kälte zu spendieren, der braucht schon gar nicht mehr „erlöst“ zu werden. Auch hier bieten die große Zahl der Werke und deren feine Gestaltung eine Intensität, die alles zu Ende bringen will.

Wenn die Abertausend Zeichnungen seine Worte, Sätze, Texte in ästhetischer Form sind, dann wollen sie als direkt verständliche Botschaften aufgenommen werden. Auf direktem Weg gehen sie zu Herzen, in den Verstand, oder aber auf dem berechneten Umweg der Gerissenheit, den man auch subversiv nennen kann. Mal lieblich harmonisch oder grässlich wie Goya, wenn er mit Albträumen foltert. Nur dass dieser es einmal genug sein ließ, während Ungerer die Intensität seiner Aussagen erbarmungslos steigert, in dem er kein Ende findet. Er ist gnadenlos, weil die Welt unerbittlich ist. Gesagt werden Gedanken oder Emotionen, bis zum Widerwillen und Ekel. Sie sind einfach bis schwierig, wenn man sie sprachlich formulieren wollte, was aber sekundär ist. Die Symbolik, die er verwendet, kann man erschließen, obwohl sie wie jede Symbolik arbiträre, das heißt willkürliche Zuweisungen von Zeichen zu gedanklichen Inhalten verwendet. Sie müssten grundsätzlich in ihrer Bedeutung wie Vokabeln gelernt werden; denn wieso ist ein goldener Ring das Symbol für Treue. Aber ein Frosch ohne Beine ist ein sprechendes Symbol für die rücksichtslose Gefräßigkeit des Menschen und, wie die Zeichnungen überhaupt, selbsterklärend für die Tierquälerei. Oder der Bild-Kontext ist sinnstiftend und erläutert das Gemeinte. Man kann seine Zeichnungen sprachlich verwenden, um mit ihrer Hilfe Gedanken zu erläutern. „Die Schauspielerin „X“ ist eine „Katze Domina“.

In der Interpretation ist es wichtig zu erkennen, dass sich die Werke eines Künstlers auch untereinander beleuchten. Die Mittel, die er verwendet, die Themen, die ihn Interessieren, die Motive, die er bevorzugt, die Einflüsse, die er aufnimmt, sie alle stehen auch im Zusammenhang untereinander und mit der Künstlerbiographie. Aber das Element der Zeichnung ist und bleibt ihr „Impact“. Ihre Fähigkeit, zu treffen und auch zu verwunden. Bei einem Werk, das in die Zigtausende geht, ist eine ganz andere Sprache zu analysieren. Man kann über eine eigene Sprache sprechen, die philosophisch, soziologisch, auch krass medizinisch pathologisch ist. Die Semantik der Bilder und Ihre Syntax ergeben eine Gedankenrichtung, die aus der Extremhaltung kommt, nicht selten aus der Tiefe der Nacht. Die Zeichnung in ihrem ästhetischen Ausdruck ist das eine, ihr intentionales Zündeln das zweite und, auf der dritten Ebene, als Element einer umfassenden Sprache, in ihrer Gesamtheit ein monumentales Werk, festgefügt und voller Dynamik. Sein Kennzeichen ist, dass man es nicht umgreifen kann. Das grässliche Bild entsteht nicht aus freien Stücken, sondern aus dem Zorn über eine Welt, die selbst dafür sorgt, dass das Schöne, Liebe, Einfache, Naive keinen Bestand hat. Bevor das Kind die Sprache der Erwachsenen spricht, spricht es seine eigene. Bevor es die Philosophie seiner Epoche aufnimmt, hat es eine elementare Basis des Denkens und Fühlens gewonnen, die es später weiterentwickelt oder aber bewahrt. Dann konfrontiert es sie als das Ureigene mit dem Allgemein-Beliebigen, in dem der Verrat der Erwachsenenwelt greifbar vor Augen liegt.

Der Mensch ist schlimm - Tomi Ungerer ist schlimmer. Es ist lächerlich, von der condition humaine zu sprechen, die Balzac mit knapp einhundert Romanen zwar nicht immer moralisch, aber stets inhaltlich vollkommen darstellen wollte. Was hat das zu tun mit dem Gruselkabinett eines Ungerer, in dem der Mensch nach Belieben eines grimmigen Künstlers durch die Wurstmaschine gedreht wird. Der aufmerksame Freundschaft und Liebe kennt und mit Großherzigkeit schmückt, seine Phantasie durch alle Stellungen eines Fucking-Automaten jagt, gefühllos und stereotyp, mit der Wut eines enttäuschten Anspruchsvollen, aber ohne Verlust an haargenauer Perspektive. Vom „épater le bourgeois“ des Romantikers, dem die geistlose Lebensweise des Bürgers einfach zu beschränkt ist, ist es noch ein langer Weg zu einem zerstörerischen Verballhornen einer Restillusion, die Tomi Ungerer ausgiebig kommentiert. Ein Weg, nicht zu weit für ihn.

Das Ich des Künstlers ist nicht identisch mit seinem biographischen Ich. Das stimmt selbst dann, wenn er eine hinreißende Bildsequenz der Schweinschlachtung abliefert. Selbst erlebt, aber die gezeigte warmherzige Sympathie mit dem geliebten Haustier ist doch die „höhere „Wahrheit“ aus der Besinnung danach. Wenn er zu übertreiben scheint, zeigt und meint er nicht seine Bilder mehr als Bilder, sondern seinen Affekt. Es ist nicht die berühmte Spucke ins Antlitz der Kunst, von dem die Literatur einmal sprach, sondern die Spucke der Kunst in die Visage des abjekten, verworfenen Menschen. Der französische, ebenfalls nur jung vorstellbare Dichter Rimbaud sprach vom „s’encrapuler“, man müsse sich zur Kröte machen, wolle man das Leben in seiner Tiefe ermessen. Beide sind gejagte Jäger, Eskapisten nicht aus Feigheit sondern aus Abenteuerlust und aus der Entschlossenheit des Desperados, der alles in die Waagschale zu werfen bereit ist. Und der gewinnt. Der Jugendliche Mensch, der alles riskiert statt alles zu verraten. Der die Philosophie kennt, die ihm erlaubt, das auch so und nicht anders bewusst zu wollen. Er ist Gesinnungstäter und handelt zugleich im Affekt, eine synergetische Mischung, die nicht weiter erklärt werden kann sondern mit dem Werk belegt wird. Wenn Tomi Ungerer einmal ruhiger schlafen möchte, zeichnet er das „Liederbuch“, „Zeraldas Riesen“ oder „Die drei Räuber“. Anderes ist wie im Fieber, das allerdings die Präzision des Federstrichs nicht bremst, vulkanisch eruptiv. Die ausbalancierte Variante des Zeichners, dessen Ich in einem enthusiastischen, febrilen, lustbetonten Zustand nicht untergeht. Die raketengleichen Buntstifte, die ihn verfolgen, die Ruhe und den Schlaf rauben. In solchen Augenblicken kommt ein medialer Charakter ins Spiel, der Seher, der das, was er sieht, sieht, ob er will oder nicht. Paul Valéry sagt, „es dichtet mich“, Tomi Ungerer sagt nicht, bei allem, „es zeichnet mich“. Er beherrscht beide Register, eben auch den höchst aktiven, bewussten Zugriff auf die Welt, mit letztem Einsatz, wie man immer bebefürchten muss.

Die moderne Kosmologie spricht von einem unendlichen aber begrenzten Kosmos. So ist auch die Phantasie des Menschen unendlich, aber begrenzt durch seine Individualität. Wer ganze Gruppen von Menschen mit Schrauben-, Mutter- und Flügelschrauben-Köpfen entwirft, verweist auf seine unendliche Motiv-Erfindung, begrenzt sie hier auf das Thema Mechanik und Mensch, Unterkategorie: Der Mensch ist ein Schrauben-Schreckgespenst. Aber oberste Kategorie: Der Mensch kann singen und tanzen und ist schön. Der Mensch ist gut. Wer das sehen will, muss durch die Bilder hindurchsehen, die den möglichen Menschen verbergen. Seine gute Version ist immer die helle Seite des dunklen Spiegels, in der er sich betrachtet, wobei er die Schatten nicht sehen will. Die Anklage genügt nicht, dass er so schwach ist, zuzulassen, dass er vor sich selbst verborgen bleibt. Analyse im Detail ist nötig und von einer Vivisektion verspricht man sich die Wiederbelebung des Halbtoten. Unendlich ist die Wissenschaft, die nie ankommt. Unendlich ist die Phantasie in den Grenzen des Individuums. Unendlich ist die Kunst, weil sie Ernst macht mit den Möglichkeiten. Der Mensch in seinen Möglichkeiten ist nur besser als der Mensch der er tatsächlich ist, wenn er ein unrealistischer Entwurf bleibt. Die Kunst ist die zornige Peitsche, die das nicht glauben will und die bleibt, damit er zu seinen Ursprüngen kindlicher Unschuld zurückfindet. Ihre Karikatur ist Analyse. Sie führt zur Anklage. Als Anklage ist sie Aufforderung. In der Aufforderung ist die Philosophie enthalten. In der Fülle der Motive und Themen liegt die Intensität, die empfundene Dringlichkeit. Sie ist ein anderes Wort für Utopie, die entschlossen die Wirklichkeit überformen will. In jeder Zeichnung des konzessionslosen Tomi Ungerer, wenn nicht das Spielerische überwiegt, sickert es hindurch, dieses „So kann es nicht bleiben. Du musst das andere machen“. Es ist der Schmerz und der Ekel, die beide seit Baudelaire eine Sprache gefunden haben und nicht mehr still sein können: „Sois sage, ô ma douleur.“ Seinen Paroxysmus, seinen Höhepunkt, hat Tomi Ungerer mit dem Bilderalphabet der Hölle aufgezeichnet. Den Überschuss der Phantasie kann er nicht bremsen. Er verfolgt ihn überall und immerzu. Die outrierte Phantasie ist immer Jenseits der Säulen des Herkules wo Atlantis liegt. Schon bei den Griechen ein schauderhafter Gedanke, wenn es so sein sollte. Sie kennt keine Bewertung, von Zartheit bis Ekel produziert sie unterschiedslos. Nicht aus Langeweile, aus einem taedium vitae fließen die Bilder, sondern aus didaktischer Notwehr zum Leben und aus der Lust der Gestaltungsphantasie, die in der Radikalität so recht in Schwung gerät. Die Rache an der Unvollkommenheit weist einen nicht resignierten Utopisten aus, der das Ergreifen seines Lebens als schwierige Frage und Problem seiner Existenzentscheidung längst hinter sich hat. Radikal und schonungslos ist er in erster Linie zu sich selbst. Denn er ist freundlich und herzlich in der Freundschaft.

Vollkommenheit führt Tomi Ungerer vor, indem er die Kontingenzen der vorfindlichen Unvollkommenheit ausschreitet, bis zur Erschöpfung. Wer sie aushält, glaubt dem Vollkommenen näher zu sein, sieht es aber nicht. Über den Weg der Verneinung, „Via negationis“ muss sie sich für ihn ergeben. Die Eklipse der Sonne ist das Bild der unio mystica. Der Seher ist blind, so stellt er sich selbst dar auf dem Katalog zu seiner großen Ausstellung des letzten Jahres, weil er mit seiner Innerlichkeit die Dinge sieht, deutlicher als alle Realität, die er abschneidet. Es ist die Vollkommenheit, die der Mensch als Erfüllung sieht, wenn das Auge nicht sieht. Wer die Hölle verneint, erreicht den Himmel. Für den Künstler bedeutet das, er muss sie kennen und kenntlich machen, sonst weiß er nicht, wovon er träumt. Wer wie kein anderer vor ihm die Welt im Bild ausschöpft und der Salzsäure seines Urteils aussetzt, endet und beginnt zwangsläufig bei dem Ideal, für das es kein Bild mehr gibt.

Für den intellektuellen Genuss und die Reizung der Sinne will der Mensch immer auch das Neue, das wurde gesagt. Wenn er es kennenlernt, lernt er es auch schon auswendig, speichert es und hat es als Besitz. Die berühmte Innerlichkeit. Sie lässt die Dinge tiefer erleben als das sichtbare Bild. Dem Neuen wächst aber auf diese Weise sehr schnell ein Bart, sein Untergang beginnt mit seinem Introitus. Museum und Buch halten dagegen und empfehlen die „vertiefte Wahrnehmung“, die Intensität durch Wiederholung. Meditative Versenkung statt flüchtige Oberflächenkultur der ewig laufenden und banalen Bilder. Es ist nicht so häufig, dass Künstler Bücher schreiben und Museen auf den Weg bringen. Aber zu ihrer Thematik gehört es durchaus, nicht zu ihrem Repertoire des Schaffens. Auch da ist Tomi Ungerer aus einem anderen Holz der Tatkraft und der Möglichkeiten.

Tomi Ungerer hat alle Wörter, die es im Umkreis des „Genialen“ gibt und die ihn gelobt haben, auf sich gezogen, wie Orden und Preise. Da sie ihn nicht unbeeindruckt gelassen haben können trotz bedenklicher, weiter oben geschildeter Abwertung auf der Skala des Lobgesangs, haben ihn auch die erreicht, die zum Beispiel seine sexuellen Ausführlichkeiten für bedenklich halten. Die seine Verhohnepipeleien und ätzenden, bösen Blick auf den amerikanischen Kulturkreis kommentieren. Wenn er seine Obsessionen pflegt, ist es ein geliebtes und verhasstes Thema, das alt ist und immer mit neuen Bildern umkreist wird. Worauf man sich verlassen kann. In der vergeblichen Hoffnung, es los zu werden, wenn er es objektiviert hat. Aber dieser Trick der Psychologen kann nicht funktionieren, wenn die Obsession dem eidetischen Gedächtnis eingebrannt ist, im malerischen „Mandelkern“, auch wenn der Künstler nur ungern seine Bilder später nach Fertigstellung anschauen mag. Seine Obsessionen sind aber auch das Kinderbuch und Kinderliedbuch. Schalk und Übermut diktieren ihm eine Didaktik, die zu Recht in einem Bilderbuch und nicht in der Theorie der Pädagogik aufgehoben ist.

Es hätte weniger gebraucht, damit das eintritt, was er erreicht hat. Eindringlichkeit und Entschiedenheit einer klaren Überzeugung, Ästhetik und fest daran gekoppelter Inhalt haben meist wohl widerstandslos osmotisch die Menschen infiltriert, manchmal auch gegen deren Willen. Tomi Ungerer ist frei genug, sich darüber, auch grimmig, zu freuen.