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04. Aug. 2023

Psychoanalyse – wildes, wüstes Denken

Dr. Gerd Breitenbürger


Wer etwas sagt, sollte es so sagen, dass er verstanden wird. Seine Rede sei einfach und klar, das weiß man seit der antiken Rhetorik, seit Goethe und weiß es auch heute noch. Sie fügte aber noch hinzu „latine“, übertragen auf hier und heute „reines Hochdeutsch und „perspicue“, das heißt etwa scharfsinnig, nicht schwer verständlich und irgendwie auch interessant. Das Gegenteil wäre Kauderwelsch, die Sprache, die in Chur, Schweiz gesprochen wird. Sie ist aus mehreren Sprachen gemischt, und für den Außenstehenden eine verworrene Ausdrucksweise. In der Stilkunde Rahn-Pfleiderer fürs Gymnasium hieß es noch, Fremdwörter nur, wenn es sein muss. Dass selbst intellektuelle Kreise über eine unerhörte Elastizität im Sinnverstehen verfügen, hat die Sokel-Affäre bewiesen. Ein Text wurde vielfach vom Publikum hingenommen, der nur aus unsinnigen Sätzen bestand, aber das wohl auf hohem Niveau. So etwas gibt es auch heute noch mit Sätzen, die jetzt zwar inhaltlich stimmen mögen, die aber unverständlich und außerdem sehr oft nur banal sind. Es funktioniert mit einer postmodernen Freude an einem Missbrauch fachspezifischer Begriffe. In einem Fernsehfilm 2020 sagt sie aufgebracht in einer ganz alltäglichen Situation zu ihm, „Du überkompensierst!“ und man ist verblüfft, man hätte natürlich „Du übertreibst“ erwartet. Im Speziallexikon findet sich: „jede positive Leistung über den reinen Ausgleich hinaus.“ Der amerikanische Asthmatiker Spitz trainierte so lange, bis er bei den Olympischen Spielen neun Goldmedaillen im Schwimmen gewann. Er hat sein Gesundheitstraining schlicht „übertrieben.“ oder „überkompensiert“? Ab wann ist der Begriff „überkompensieren“ überhaupt angebracht oder der nicht mehr hinnehmbare. - Sie werden bisweilen metaphorisch eingesetzt, über ein Vergleichsmoment. So gefällt es dem Positivisten durchaus. Aber Isomorphie, Gleichheit über Definitionen wird behauptet, weil man merkt, man muss von der geistlosen Assoziation und vom Vergleich zu substantiellen Aussagen kommen. Die Psychoanalyse hat Teil am „Reich der Notwendigkeit“, also dem der Natur, aber auch an dem des Geistes. Das müsste erlauben, ihre Systematik auch im Kulturellen zutreffend einzusetzen. Das geht aber nur, wenn man annehmen will, die Materie und ihre Eigenschaften machen die Welt aus. Die Sprache der Psychoanalyse ist aber nicht nur physikalistisch neutral beschreibend, sondern auch immer systematisch eingebunden, in einem entschiedenen Masse bewertend, und auf der Suche nach individuellen menschlichen Störungen. Sie haben das Problem, was ist hier noch Standard, und der liegt in einer anderen Dimension.. Ihr Hauptdiagnose-Instrument ist dabei die Assoziation, die eher dem wilden Denken entspricht als dem szientifischen ählt durchaus.

Konnotation und systematische Einbindung nehmen die analytischen Begriffe mit, wenn sie exportiert werden. Die Erfinderin des Schneeballsystems habe eine „Ich-Störung“ gehabt. Wer weiß schon genau, wie er den Zeitungsartikel verstehen soll. Das ist ihr magischer Halo, der in einer neuen fachlichen Text-Umgebung sich bewähren muss. Heute wirken die Versuche verspätet, die Psychoanalyse als wissenschaftliche Einheits- und Universalsprache aufzubauen, die eine positivistisch amputierte Kulturwelt und das menschliche Wissen neu überprüft und begründet. Es müsste sich zeigen, dass hier ihre Begriffe und Methoden den Sinn so tragen, wie er gemeint ist und wohl auch nicht durch Banalität langweilen. Nicht zuletzt an dem Dilemma, dass Bedeutungen nicht zum empirischen Material gerechnet werden können, zeigt sich die Begrenztheit der naturwissenschaftlichen Methodik. Die Annahme des „Wiener Kreises“, man könne eine logische Wissenschaftssprache ohne Metaphysik aufbauen und damit eine objektive Wirklichkeitsstruktur gewinnen, funktionierte nicht. Der amerikanische Philosoph Hilary Putnam ist ein gutes Beispiel dafür, wie schwer man sich auch nach Marx in den 70er Jahren tat, den kritischen übergangspunkt vom Ding zu seiner Bedeutung zu bestimmen. Das reale Ding muss etwas „Spezifisches“ in sich haben, sogar eine „Essenz“ (so Putnam und sein „metaphysischer Realismus“), das es zu dem macht, was es ist. So ganz materialistisch war das dann nicht mehr; denn der Materialist will ohne Geist bei seiner Welterklärung auskommen. Der Sache näher kam der Zoologe Konrad Lorenz, der für die Kantschen Kategorien a priori und dem Ding an sich einen materiellen Evolutionsprozess ansetzte und so schrittweise zu einem a posteriori der Kategorien kam. Er konnte Erkenntnis mit dem Prozess der Anpassung und deren prozesshafte Entwicklung auf der Zeitschiene gleichsetzen, die Flosse ist dann Erkenntnis des Wassers, der Flügel Erkenntnis der Luft. Man könnte von eine materialisierten Erkenntnis sprechen. Für den Neurologen heute stellt sich da die Aufgabe, im Gehirn nachzuweisen, wie aus Neuronen, die Quantitatives zeigen, Qualitatives wird, was sie auch zu tun gedenken. Methodisch wies Karl Popper schließlich den Weg, auch wieder hybride, indem er die Vorstellung von einem“ Wesen“ der Dinge energisch verwarf und die Dinge über operationale Definitionen bestimmen wollte. Er und der Positivist Eccle aus Australien waren dann die Paradiesvögel der Positivisten, da sie die idealistische Vorstellung von Kreativität und Phantasie, was unerhört war, als unvermeidbare Annahmen für den Positivismus akzeptierten.

Ein Beispiel für den übergang vom Wesen der Dinge zu ihrer Operationalität und was gewonnen wird, soll es näher erklären. Bei einem Begriff wie Elan vital, mit dem man im 19. Jahrhundert „Leben“ definieren wollte, wusste man bald, dass es mit dem Hauch Gottes, dem Flatus Dei, nicht getan sein würde, der zum Lebewesen irgendwie „hinzukommt“. Metaphysik und Transzendenz halfen nicht weiter bei dieser Wesensbestimmung in den Naturwissenschaften. Außerhalb der Biologie lebte der Begriff mit „Vitalismus“ aber als Metapher durchaus produktiv weiter, obwohl wissenschaftlich falsch. Gedanken und manche Begriffe sind eben frei. Andererseits, „Schwarze Löcher“ und „Dunkelmaterie“ verrieten sich zunächst mit ganz wenigen Merkmalen, mit denen man auf ihr „Wesen“ hinweisen konnte, sie waren aber nur Aufhänger dafür, dass es sich hier um weiter noch zu klärende Verhältnisse kosmischen Ausmaßes handeln musste. Naturwissenschaftliche Begriffe haben eben grundsätzlich einen hypothetischen, vorläufigen Charakter und nehmen am Fortschritt der Wissenschaft teil. Im geistigen Bereich lag es in der eigenen Hand, klar zu machen, wie man die verwendeten Begriffe verstanden haben wollte. Linguistik und Stilgeschichte und Interpretationskunst sind so fruchtbar nicht wegen der Begriffe, sondern wegen der Tatsache, dass sich mit ihnen ganze Welten verbinden lassen. Vom Sandkorn zum Kosmos, von einem Fächer zu einer ganzen historischen Epoche. Eine solche Sachlage wäre das Ende einer jeder Naturwissenschaft, außer beim Atomisten Lukrez, der als einziger beides genial zu verbinden wusste. Deswegen ist das „wilde Denken“, wie der ethnologische Strukturalismus es definiert, ein in der Praxis hilfreiches und vollkommen ausreichendes Denken, konnte aber keine Naturwissenschaft aus sich erzeugen, weil seine Logik, die aus Assoziation und Analogie bestand, nicht dazu geeignet war.

Eine Sonderform des „wilden Denkens“ ist das „wüste Denken“. Es unterscheidet sich vom wilden dadurch, dass es individuell geschaffen wird, eben nicht in einer Gruppe, und sich dann durch ästhetische und psychologische Anziehungskraft eine zustimmende Gruppe schafft. Das geschieht zunächst mit Hilfe assoziativen Denkens, wie beim wilden, dann aber auch, indem Fachwissenschaften herangezogen werden, die präzis zu arbeiten pflegen und Ansehen und Nimbus versprechen. Damit soll auch Zuständigkeit und Kompetenz nachgewiesen werden. Als da sind Psychoanalyse und die Methodik des Positivismus. Diese ungewöhnliche Aufgabenstellung bewältigt zum Beispiel der Literaturwissenschaftler Klaus Theweleit, indem er konsequent positivistisch ohne Metaphysik argumentiert, aber immer, wenn er materialistisch nicht weiterkommt, metaphysische Hilfsmittel in einer gewissen Surrealität versteckt anwendet. Sein Versuch soll hier zu manchen Themen als Lehrstück herangezogen werden. Für diese Brüche in der Darstellung, die in der Methodik einer klassischen Philosophie und in den Naturwissenschaften erst recht als ein schwerer Sündenfall vermieden werden, will man die Technik der „Collage“ oder „Kompilation“ anführen. Ein Kind schneidet Sehenswürdigkeiten aus einem Katalog aus und klebt und ordnet sie nach Gutdünken wieder zusammen. Sachlich-Sinnvolles wird in etwas ästhetisches transformiert. Und das ist auch noch surreal und das heißt hier wüst, da rein assoziativ aufgebaut. Logik geht nicht verloren, sie ist überflüssig. Mehr als Spurenelemente dieses Vorgangs müssten in einem Text zu finden sein, der mehr als ein einziges hölzernes Eisen für sich in Anspruch nimmt. Eigentlich müsste man zuspitzend sagen, entweder rein wissenschaftliches Denken, dazu zählt auch das historische oder „wüstes Denken“, das ahistorisch positivistisch eine Meinung, eine Doxa ist, aber mit genügend Anhängern rechnet. Negative Utopien gehören, wie die Utopien selbst, zu einer literarischen Gattung, die Märchenhaftes mit einer schlüssigen Erzählung zu verbinden weiß. Das ist die ästhetik einer Poesie mit Stimulans-Effekt. Dieses Denken will im Grunde immer auf eine Meinung verpflichten, und so verwundert auch nicht, dass, wie später ausführlicher gezeigt wird, der Stil derer, die sich hier einbinden lassen, manipulativ wirkt. Eine total ohne jede Kritik auskommende Presse-Würdigung der Sichtweisen von Theweleit endet, nach seiner Behauptung, es gebe 7 Milliarden perverse Zombies auf der Erde, mit: „Da hilft kein Impfstoff mehr.“

Das Sprachproblem beschäftigt uns weiter. Die Bibel spricht vom „logos spermatikos“, vom Wort Gottes, das wie ein Samen fruchtbar ist. Es gehört über die ganze Welt. Es fordert zum Missionieren auf. Sprachlich verdeutlicht wird dieses Konzept mit dem Gleichnis des Senfkorns. Das Pendant in der rhetorischen Rede ist das „exemplum“, das Beispiel. Sigmund Freud greift auf antike Mythen wie ödipus, Elektra und Narziss zurück, um zu verdeutlichen, wie bestimmte seelische Mechanismen funktionieren. Das legt er auch als eine echte Erkenntnis dar. Er sah aber auch in ihnen eine Bestätigung aus alter Zeit, aus der Wahrheit des Mythos, in der diese Schemata in Form „wilden Denkens“ (Levi-Strauss) eine andere aber auch gültige holistische (totale) Welt ausdeuteten. In ihr fanden sich die Menschen zurecht, da es auch hier ihre funktionierende Logik war. Das war im Sinne einer Identität mit seinen, Freuds, psychischen Konzepten gemeint, wie sie nur über Ideen formuliert werden, und hatte den Wert einer Verifikation, also Bestätigung auf dem Niveau des Positivismus. Er hatte etwas Gleiches gefunden, das Autorität hatte, Autorität fast einer Selbstevidenz für den Gebildeten. Gleichzeitig mussten sich die sonst ungeordneten Assoziationen auf sie hin ordnen lassen. Mehr bekommt er als Forscher zunächst nicht. Die Verifikation ist nicht weit weg von der Annahme, einen Systemcharakter für die Forschungsobjekte aufbauen zu können. Den Wert einer großen Erzählung in Zeiten der Postmoderne kann man dem schon zusprechen. In ihm liegt ein Potential. System deswegen, weil alle Forschung ein übergeordnetes Ziel hatte, den ganzen, intakten Menschen. Auch dieses wurde operational definiert mit dem was er einmal als Gesunder leisten soll.

Die bewährte Methode, Abstrakt-Sprachliches mit Sprachbildern zu erläutern, wirkt fort, als die Positivisten für die Naturwissenschaften zunächst klar machten, auf metaphysische Begriffe müsse verzichtet werden. Der Positivismus funktioniert in den Naturwissenschaften so gut, weil er sich bescheidet. Man kann „Ideen“ und das „Wesen“ der Dinge nicht empirisch überprüfen, war ihr schärfstes Kriterium der Abgrenzung. Man wollte im rein Empirischen verbleiben, mit allen Konsequenzen. Es hieß, die Gedanken seien Ausscheidungen des Geistes wie der Urin Ausscheidung der Niere sei. Darauf prompt die Antwort aus dem Plenum eines Kongresses im 19. Jahrhundert, ja, wenn man den Kollegen so reden hört. Die Psychoanalyse schien vielen geeignet zu sein, als fehlendes Verbindungsstück zu dienen. Ihre ausgefeilte Begrifflichkeit immer mit Bezug auf die erfahrbare Wirklichkeit der menschlichen Seele schien geeignet zu sein, mit ihrem Apparate- oder Funktionscharakter oder dessen Topographie, die seelische, auch die geistige Welt des Menschen beschreiben zu können. Wer die Anthropologie beherrscht, hat Zugang zu einem wilden Denken, das die Totalität des Menschen ins Visier nimmt mit dem Vorzug, dass sie jetzt szientifisch überprüfbar ist. Damit hätte sie es schaffen müssen, von der Individualanalyse zu der einer ganzen Gesellschaft zu gelangen. Bei diesem Methodentransfer psychoanalytischer und naturwissenschaftlicher Begriffe von der empirischen Ebene auf das äquivalent einer geistigen Bedeutung wäre aber auch die Annahme eines Determinismus in den Geisteswissenschaften zwangsläufig gewesen. Determinismus, Konditionierung, Kausalität, Multikausalität, Apparat, System, Schichten wären ihre Begriffe. Und in der Tat, so wird jetzt vorgegangen. Der Psychoanalytiker, der Museumsbilder mit seiner Interpretationskunst zum Sprechen bringt, begründet sein Vorgehen damit, dass sich im Betrachter eines Bildes ein Abbild einstellt und dass da zwischen ihm und dem Abbild irgendwie ein Dialog gestartet wird. Das Bild im Gehirn wäre dann durchaus wahr im Sinne der Erkenntnislehre des Mittelalters, als Konvenienz bei Thomas von Aquin. Das reicht aber heute nicht mehr, auch wenn sie von dem amerikanischen Philosophen Putnam marxistisch erweitert wurde. Er gab sie später auf, der zufolge von den Dingen erst einmal ein kausaler Anstoß für die Bildung von Bedeutungen ausgeht. Ein Thema für die Neurologie heute. Er schließt Kausalität also nicht aus (kausale Referenztheorie), er akzentuiert sie. Plausibler wäre aber zu erwähnen, dass das Abbild vom Betrachter als gegebenes inneres Objekt subjektiv von ihm aufgefasst, „gesehen“ wird. Das wäre etwas ganz anderes; denn seiner Subjektivität wären die Biographie, die Kultur und die Phantasie des Betrachters einbezogen worden zu seiner subjektiven Wahrheit und kausalen Zwang würde es nicht geben. Oberflächlich erkennbar ist das daran, dass vieles als nicht eindeutig angesehen werden kann oder schlicht alternativ. Hier zeigt sich, dass der Psychoanalyse und den Wissenschaften nicht nur die Begriffe entliehen werden, sondern auch das mit ihnen verbundene methodische Denken und schließlich die fundierende Erkenntnislehre positivistisch umgedeutet wird. Es muss sich zeigen, dass dieser Verlust kompensiert werden kann. Wenn die Dinge kausal determinierend ihre Bedeutungen liefern, gibt es nichts mehr zu diskutieren, statt Dialog herrscht der beängstigende Monolog der Dinge. Dann gibt es nur eine Wahrheit, das heißt eine einzige einhellige Meinung schon für vier Beobachter eines Verkehrsunfalls. An diese Stelle setzt sich in diesem Fall der Analytiker selbst, indem er seinen Monolog, seine Interpretation, dominant in den Vordergrund stellt. So hat er die „absolute Kontrolle“ (Theweleit) über die reine Lehre der Psychoanalyse und ihrer Kompetenz sowieso über seine Zuständigkeit als unangefochtener Interpret.

Das folgende Zitat ist ein Beleg für diese Annahme: Es drängt sich auf, man müsse, um die Interpretation eines französischen Liebesromans des 19. Jahrhunderts zu verstehen, zusätzlich zum Fach Geschichte und Literatur noch Psychologie, Biologie und Chemie studieren, außerdem Philosophie und Technik: Warum geht der Held im Liebesroman mit Eifersucht kämpfend unter? Es kann nur so gehen, einer weiß es ganz bestimmt.

“Rogers Eifersuchtswahn ist gespeist aus der letztlich unverdrängbaren, nur durch Schuldabwälzung und Demütigung der Geliebten sadomasochistisch vorübergehend erträglich gemachten Einsicht in die unaufhebbare Insuffizienz der eigenen parasitären Lebensform.“ (Erich Köhler, Romanist).

Es ist nicht als Parodie gemeint, sondern als ein zwingender Gedanke. Wenn man ihn verstehen will, muss man seinerseits psychologisch vorgehen. Was hat sich der Interpret von seiner Interpretation versprochen. Was hat ihn dazu angetrieben. Mit diesen Fragen könnte sein Beitrag zur Kultur doch noch interessant werden. Ein solcher Stil-Manierismus will gar nicht informieren, er will etwas eitel nur glänzen. Was wäre hier schon die Mitteilung. Sokel-Effekt hier und dort und überall. Und es wird vor die Augen geführt, meine Lehre und meine Kausalkette sind unschlagbar. Da liegt etwas Manipulatives.

Die Positivisten schienen mit den Begriffen „Assoziation“ und „Gleichheit“ und „Operationalität“, die auch der Logiker R. Carnap, Mitglied des „Wiener Kreises“, sachlich wichtig für den Forscher hält, Instrumente beizusteuern, die auch dem Analytiker für die Individuelle Analyse gute Dienste leisten. Auf diesem Weg der Begriffe und der Methodik erzielte Früchte hätten belegen müssen, dass ein Anliegen der Postmoderne erfüllt wird, auf Ideen und Ideologien, auf große geistige Entwürfe verzichten zu können. Noch einmal der Vitalismus. Er war praktisch eine säkularisierte Form des Flatus Dei, des Atemhauchs Gottes, und der war eine Idee der Transzendenz. Für die Moderne ist „Leben“ mit den Operationen in Physik und Chemie bestimmt, von den Energieumwandlungen und deren Vorgängen in den einzelnen Bauteilen der Zelle wie den Mitochondrien, Ribosomen usf. Das erlaubt ihr, sich etwa 50 Mal zu teilen. Mit der Erschöpfung einzelner Bestanteile geht dann das Leben zu Ende. Dieses Denken versucht im elementaren Bereich zu verbleiben, ohne Idee, ohne Metaphysik. Was dabei verschwiegen wird, weil man glaubt, es verschweigen zu können, ist die Tatsache, dass diese Erkenntnisse Schritt für Schritt gewonnen wurden, weil man mit Phantasie und Kreativität zu Werke gegangen war. Das waren ja die sündigen Gedanken des Positivisten Popper. Und ohne Sünde kann auch der frommste Zellbiologe nicht arbeiten. Das ist hier der Geist, der stets bejaht. Ohne mich geht gar nichts und deswegen bemerkt ihr mich nicht als Ausdruck vor der Klammer.

Dieses Versteckspiel ist vergleichbar mit der Behauptung, das Verfahren der Domestikation sei das Grundverfahren für die Entwicklung aller Technologien der Zivilisation und sei Grund allen übels. Die Antwort auf die Frage nach der komplexen Ursachesituation würde allerdings vermutlich etwas „Wesentliches“ zu Tage bringen, zum Beispiel die grundsätzliche aber zweifelhafte Homo-faber-Qualität des Menschen. Daher muss der Positivist anders ansetzen, zum Beispiel bei den Verfahrensweisen, die ja materiell operieren. So ist es bei der Frage, wie kommt der Mensch darauf, Wildkatzen, die er beobachtet, günstige Gelegenheiten anzubieten, in seinen reichen, aber von Ratten und Mäusen intensiv geschädigten Kornspeichern, Existenzgrundlage im alten ägypten, das zu tun, was sie am liebsten tun, die Mäusejagd. Der Wolf hat sich dem Lagerfeuer des Menschen, seine Furcht überwindend, genähert. Er ist ihm quasi nachgelaufen und das weitere ergab sich, weil der Mensch Zeit hatte, durch Beobachtung vertiefte Einfühlung zu entwickeln und bald genug Phantasie besaß, ein symbiotisches Ziel mit dem Wolf auszuhandeln. Den rotbraunen, schnellen Wildesel, der auch wüstentauglich in Nordafrika zu Hause war, musste man wohl einfangen und tatsächlich „segmentieren“, von seinem gewohnten Habitat abspalten, und mit Nachdruck überreden, zum gedrungenen Lasttier des Menschen zu werden. Aber das „Segmentieren“ war das wenigste, das banalste Merkmal, da es immer so ist, der Anfang beginnt mit dem Anfang. Ohne ihn geht eben gar nichts. Schon Gott hat, weil es nicht anders ging, erst einmal Erde und Himmel „segmentiert.“ Wichtig ist aber, was in und auf beiden passiert. Der Esel musste erst einmal her, damit es losging. Da er störrisch über die Jahrtausende geblieben ist, weiß man nicht, ob ein Arbeitsverweigerer seines hartnäckigen Charakters nun domestiziert genannt werden kann oder umgekehrt, mit einer jederzeit aufkündbaren Anpassung an den Menschen diesen sogar sehr wirksam zum Esel macht und vorführt. Wilhelm Busch hat da Nennenswertes beigesteuert. Aus dem Menschen, der ihn mit Stockschlägen auf dieselbe Haut- und Körperstelle antreibt, bis sie blutet, durchaus aus Hilflosigkeit gegenüber dem Esel und auch gleichmütig, macht der Esel ein Wesen, das er blamiert, ohne dass dieser es merkt. Der Preis, den er zu zahlen scheint, ist ihm egal. Man kann „Souveränität“ definieren, indem man auf die Tiere kommt, auch auf die sogenannten domestizierten. Spricht man vom Menschen, denkt nur eine Fachdisziplin daran, dass es nötig ist, daran zu erinnern, dass er überhaupt und tatsächlich geboren worden sein muss. Genetische Definition ist ein befremdliches Thema, wenn es sogar um den Neuen Menschen oder irgendetwas Geschaffenes gehen soll. Wittgenstein hat darauf hingewiesen, man solle nicht vor dem Anfang anfangen. Jeder Standesbeamte geht davon aus, dass die Heiratsurkunde, die er ausstellt, sich auf ein Paar bezieht, das einmal gezeugt worden sein muss. Nur in sehr heimlichen Sympathiefällen persönlicher ästhetik, die er niemandem verrät, wird er darüber nachdenken, wie dieser generierende Akt wohl materiell ausgefallen sein könnte.

Und nun der wissenschaftliche Text auf positivistischer, das heißt materialistisch-kausaler Grundlage. Aus der Hausdomestikation werden die Begriffe „auswählen“ und „absondern“ sowie „das Erreichte fortsetzen“ abgeleitet. Mit dieser genetischen Definition werden die innovativen Leistungen im Grunde aller zivilisatorischen Errungenschaften insofern in einem Atem genannt, als sie nach diesem Kochrezept, nach diesem einen „Grundverfahren“ hergestellt worden seien. „… von der Haustierdomestikation bis zur Digitalsierung heute und der mikrobiologischen Sequenzierung („das Erreichte fortsetzen“) von DNA- Ketten im Forschungslabor des Neuen Menschen“.

Nach dieser Textpassage, die einen absolut zentralen Gedanken für das Verständnis unserer Zivilisation und für das letzte Buch des Autors Klaus Theweleit aufzeigen will, weiß man im Grunde gar nichts. Das liegt durchaus an einer methodischen Borniertheit des Autors, eben daran, dass eine positivistische Darstellung neutral, ohne Höhen und Tiefen, ohne Bewertung hinsichtlich unserer Emotionen daherkommt. Sie zählt auf, führt an und muss darauf spekulieren, dass der Leser die Zusammenhänge und deren eminente Wichtigkeit erkennt, um ihm in die Pointe zu folgen: Wir haben es hier mit dem Neuen Menschen zu tun. Tut er das nicht, sieht er nur eine Behauptung, eine negative Utopie, ein böses Märchen, eine Eigenwilligkeit des Autors, der mit vielen wissenschaftlichen Zitationen ein unwissenschaftliches Ergebnis abdeckt. Das lenkt vom eigentlichen Thema ab und hin zu der Frage, wie kommt der Autor zu dieser Doxa, zu dieser Meinung: Auf jeden Fall verstößt er gegen seine eigene immer wachsame Sprachkritik. „Absondern“ ist gar nicht konkret und operational. Es ist ein Oberbegriff für verschiedene und sogar ganz unterschiedliche Handlungsformen. Von solchen Gattungsbegriffen sagte aber schon das Mittelalter, ihnen würde in der Realität nichts entsprechen. Womit wir bei Metaphysik und den Ideen sind. Man müsste erst einmal die fraglichen Handlungen vergleichend untersuchen. Die Beispiele Katze, Hunde, Esel zeigen, dass „absondern“ und die anderen Begriffe der Domestikation nicht immer dieselbe Idee teilen. Die Katze ist bei den Kornspeichern schon aufdringlich präsent, der Wolf ist ganz in der Nähe und will auch dorthin, wo er Witterung aufnimmt. Der Esel wird vielleicht sogar mit viel Kunst, mit viel Phantasie eingefangen, wo die anderen freiwillig sich geradezu anbieten. Das fragliche „Grundverfahren“ gibt es also wohl gar nicht, es müsste ausformuliert werden, wenn der Positivist ehrlich ist. Man braucht aber die synthetischen Begriffe „absondern“, „fortführen“, um einen Anfang, der so bestätigt wird, sich aufzuschließen. Es sind heuristische Begriffe des Geistes, keine abbildende der Realität. So gesehen sind sie lediglich Voreinnahmen eines Forschers, sein persönliches a priori, das er sich unkritisch bei einem amerikanischen Biologen und Physiologen ausgeliehen hat und das jetzt sein persönliches „wüstes Denken“ einleitet. Mit ihm verschafft er sich einen Zugang zu dem, was sein Gegenstandsbereich werden soll. Dessen Totalität will er somit begründen.

Wer Objekte des technischen Fortschritts erfindet und entwickelt, steht nicht unter der Fernwirkung eines Grundverfahrens, das von ägyptischen Katzen herkommt. Er sucht sich die Methode, wie er seine neue Idee umsetzen soll, ebenfalls ganz in der Art, wie er seine Erfindung oder Entdeckung selbst als Novum in die Welt gesetzt hat. Oft ist der Einstieg in das Problem die halbe Lösung. „gewusst wie“, heißt es. Wenn es keine kausale Ableitung geben kann, dann ist es jedes Mal der sogenannte Forscher- und Erfindergeist, die hier aktiv werden. Manchmal sogar die Inspiration eines Traums von tanzenden Jungfrauen oder Schlangen, bei Schiller ein verfaulender Apfel in der Schublade seines Stehpults. Das kann schon mal eine hohe geistige Leistung sein, von nichts Konkretem abgeleitet, die man braucht, einen gordischen Knoten nicht drei Tage lang aufzuribbeln wie die Strickerin den Pullover, Masche für Masche. Der Blitzgedanke, es gibt ihn.

Damit ist gesagt, was eine interessante Information ist. Die genetische Definition, die hier erlauben soll, mit Hilfe eines gleichen Rezepts technische Innovationen aufzusummieren und zusammenzuführen, als sei sie für irgendjemand von Interesse, kann man nicht einmal überprüfen. Das Merkmal dient dazu, überhaupt diese Aufzählung hinschreiben zu können, weiter nichts, weil man sonst tiefer analysieren müsste, um ihre Zusammengehörigkeit zu erweisen. Dann müsste man aber auf Wesentlichkeiten erkennen. Das geschieht auch mit der Pointe vom Neuen Menschen. „Sieben Milliarden Perverse in elektronisch mikrobiochemisch befeuerter Homöostase.“ Das wäre also der Neue Mensch, Marx und Che Guevara sind abgeschrieben. Der vollkommene Mensch ebenso wie der, der alle seine „Abstraktionen“ synthetisiert. Sarkasmus aus Enttäuschung? Es genügt ja nicht, wenn der Autor versteht, was er sagt. Wir möchten teilnehmen, deswegen lesen wir ihn ja. Der Mensch ist ein Organismus, dessen inneren Säfte, seine Physiologie, im Fließgleichgewicht („Homöostase“, Input, Verbrennung, Output.) ist. Hormone und Säfte sind also in Ordnung. Er ist geradezu unverschämt - physisch – gesund und auch irgendwie beschwingt, „befeuert“. Das ist doch wie aus dem Gesundheitsmagazin. Er wird hier aber, und das ist wohl die Pointe, als ein lediglich körperlich Lebender, ein Zombie und als offensichtlich geistlos hingestellt. Also noch weniger als Nietzsches Untermensch, der noch eine Menge drauf hatte. Das wäre aber ganz im Sinne eines Materialisten, müssen wir aber sagen, der alles Geistige doch sowieso leugnet. Warum die Klage. Eigentlich kann er das Geistige gar nicht beim letzten Menschen vermissen, da er es als Positivist und Antimetaphysiker ihm ja selbst aus seinem Forschungsobjekt weggestrichen und geradezu madig gemacht hat. Er ist eigentlich einer von seiner Couleur. Der Homöostase-Mensch passt auch haargenau in die drei Theorien, mit denen Gehirnprozesse für gewöhnlich materialistisch erklärt werden. Auch der Geist lebt von einer gewissen Homöostase, einem Fließgleichgewicht. Seine komplexe Stoffwechselsituation schaut sich der Positivist und Neurologe noch an, dann ist aber Schluss, und er wundert sich, dass der Neue Menschen das nicht hat, was er, der Autor, ihm weggenommen hat. Das ist konsequent aber trotzdem kurzschlüssig. Das ist zum Beispiel die Phantasie und das Innovative, auch von Freud mit seinem reduzierten Phantasiebegriff aus seinem System verbannt. Für diese Behauptung hat man den Begriff „Computermetapher“ geprägt und kritisiert. Wenn jemand an diesem physiologischen Neuen Menschen Gefallen findet, dann doch gerade der Positivist. Fällt er ihm in den Rücken, weil er doch ein schlechtes Gewissen hat? Dann müsste er nicht diese Person und diesen Typ bedauern, sondern sich selbst. Wenn ihm aber einfällt zu sagen, ich bin überhaupt kein Materialist, nur ein wenig metaphysisch wie Putnam, dann müssten wir ihm sagen, nur der Materialist bildet sich aber wegen seiner Begriffe Kausalität und Determination und Realismus und Basis und überbau ein, von hier so weiterrechnen zu können, dass er die Zukunft glaubt prognostizieren zu müssen. Was hier ja auch geschieht. Und zwar ganz felsenfest, denn er muss ja besser argumentieren als Marx und alle Utopien, die mit ihrem Ansatz gescheitert sind. Alle hatten ihre Gründe, Eduard Spranger, George Orwell, H. G. Wells, Aldous Huxley, Sigmund Freud für ihre negative Utopie beziehungsweise ihren Kulturpessimismus. Der Autor will ja gerade zeigen, dass es nicht eine Stimmung ist, eine persönliche Meinung und Befürchtung. Nietzsche beschimpft den Menschen als Untermenschen, weil er ihn besser haben will. Schreckutopien heißen so, weil sie erschrecken und dann aber auch abschrecken sollen, der Mensch soll besser werden. Einem beliebig angenommenen Grundverfahren und der Zentralperspektive mit ihrer absoluten Kontrollwirkung sollen die Dekadenz letztlich kausal bewirken. H. G. Wells mit seiner „Zeitmaschine“ geht zeitlich sehr weit nach vorn in die Dekadenz und trifft auf einen liebenswürdig verblödeten Menschen. Die Oberweltmenschen sind das Mastvieh der Unterweltmenschen, die für sie arbeiten. Sie werden geschlachtet, sind bis dahin aber sehr glücklich. Beweisen hat er das allerdings nicht können, trotz sozialistischer Neigungen. Aber er schafft es mit der Behauptung, das ist das “Goldene Zeitalter“ wenigstens auf der Ebene des rein Sprachlichen, den Glauben an seinen Neuen Menschen zu festigen. Eine Extremform wüsten Denkens.

Als Physikalist liegt der Hinweis auf die Entropie nahe. Der Wärmetod, der hier den Menschen als Reduktion auf seine Organ- und Saftprozesse in Homöostase antrifft, tritt ein, wenn alle Gasatome in einem Zylinder, also entsprechend im Weltall, ihre Bewegungsenergie ausgetauscht haben und Ruhe herrscht in Temperatur und Bewegung. Nietzsches letzter Mensch würde sagen, bloß kein Risiko eingehen. Das Bild ist zutreffend, denn die Neg-Entropie existiert ebenfalls im Kosmos und im Leben und in der Geschichte der Menschen. Materie ballt sich immer wieder auf Grund der Gravitation im All zusammen und schafft Neues. Wo Staub war, ist jetzt ein Stern mit neuen Eigenschaften der Materie und hohen Temperaturen. Der letzte Mensch, der hier sarkastisch der Neue Mensch genannt wird, ist ein alter Hut. Der Versuch, ihn als unausweichliches Endschicksal des Menschen auszugeben, ist Wells sehr anschaulich gelungen. Er vermutet einen Rückgang zu einem unterirdischen Kannibalismus mit gezüchtetem Futter. Wenn der auf wissenschaftlichem Weg gelingt, fragt man nicht nach den Gründen. Der Mensch, dieser Biber, der in dem Wasser ertrinkt, das er mit eigener Technik aufgestaut hat. Oder gibt es die Neg-Entropie, die ihn rettet. Der Mensch ist tatsächlich immer noch dem Biber vergleichbar, weil er trotz mit der Pfeilrichtung der Zeit in eine Richtung laufend, seine Fehlentwicklungen von früher korrigieren kann und das auch tut. Er erkennt sie und er ändert sein Verhalten. Was materiell war, ist Fakt. Es ist aber auch Erinnerung, Belastung, Vor-Wurf, weil man es anders bewertet und ist aufgrund von Verhaltens- und Handlungsschemata geschehen, die bis in die Gegenwart laufen. Jetzt kritisiert man sie bis zu einer neuen Entscheidungsreife. Um im Bild zu bleiben, wenn dem Biber das Wasser bis zum Hals steht, sagt er sich, anders als der Mensch, alles richtig gemacht. Wenn er aber seinen Unterwasserbau nicht mehr trocken halten kann, sinnt er auf eine alternative Bauweise. Auch er korrigiert sich. Der Mensch aus Höflichkeit, Kalkül, aus Rationalität, aus Wirtschaftlichkeit, aus Moral, aus Angst, aus Verantwortung, aus Humanität. Das funktioniert, eben nicht, weil er „zentralperspektivisch“ dazu verdammt ist, „absolute Kontrolle“ über die Dinge zu haben und so den negativen Idealtyp „Mörder“ abzugeben, sondern weil er eben nicht festgelegt ist. Diesen Menschen hat die Renaissance gefeiert, den homo plastäs, den schöpferischen, innovativen Menschen, mit einer Würde, die er allerdings von Gott ableitet. Wer alles absolut kontrolliert, wird durch seine Kontrolle selbst kontrolliert, nur Gott hätte eine Möglichkeit mehr. Und den homo plastäs gibt es. Das ist der Mensch. Und kein Mensch wächst ohne die selbstverständliche Fähigkeit der Zentralperspektive auf. Er hatte damit nicht den bösen Blick geerbt, der Tod bedeutet. Selbstverständlicher geht es nicht. Es waren die Künstler, die Maler, die sie für ihre Kunst entdeckten, das war neu. Von einem zweidimensionalen Bild eines Condottiere noch im Profil konnte man sich eher kontrolliert fühlen als von einem beliebigen Bild mit einem Dorf im Hintergrund.

Die Wüste lebt, das Wüste nicht so sehr

Die Nagelprobe darauf, dass der genannte Begriffstransfer unzureichend ist, folgt hier. Es gibt die normale penuria verborum, den Mangel an passenden Begriffen in den Wissenschaften und anderswo. Es gibt für den Positivisten das zusätzliche Problem, da er das Geistige umgehen will, es mit materiell zu verstehenden Wendungen trotzdem auszudrücken. Das „hölzerne Eisen“ ist nicht nur für den Wissenschaftslogiker ein Stoppschild. Nur wenn die Liebe gleichzeitig heiß und kalt ist, der ängstliche mutig ist, könnte man das Oxymoron hinnehmen. „Person“ ist für den Psychologen der Inbegriff ausgeprägter Individualität. Man widmet ihr eine Einzelfallanalyse, auf der Couch oder in einer Monographie. Ein „Typ“, ein „Idealtyp“, oft auch als „homo plus x“, „homo oeconomicus“ oder „homo ludens“ zum Beispiel genannt, ist dagegen eine Konstruktion, die mit allen wichtig erscheinenden Eigenschaften und Merkmalen, mehrerer Individuen, zusammengesetzt wird. Man kann sogar den Idealtyp einer Buchhaltung entwerfen, die perfekt, das heißt fehlerfrei, funktioniert. Fehlerhafte Buchhaltungen aus der Praxis kann ich dann mit ihr vergleichen, um Fehler aufzuspüren. „Person“ bezieht sich dann immer auf ein in der Wirklichkeit beobachtbares Individuum, ein Typ hingegen fasst auf Individuen verteilte Merkmale zusammen, ist also eine Abstraktion und kann einen Standard abgeben, an dem man sich kritisch orientiert. Mit ihm dürfte der Positivist nicht arbeiten, da er ja nur im Geist vorkommt. Daher benutzt er die Methode der Kasuistik, des Einzelfalls, der heuristisch weiter verwendet werden kann in weiteren gleichen Fällen. Es heißt dann: „Der kleine Hans und die Pferdephobie.“ Wenn dann von einem allgemeinen eurasiatischen Killertyp gesprochen wird, ist das nicht mehr Positivismus, sondern eine Extrapolation, die nur erlaubt wäre, wenn man statistisch und/oder genom-bestimmend – alle haben bestimmte schlimme Gene ererbt, was ja sein könnte – vorgeht. Das würde dem genannten „Grundverfahren“ in den Technologien insofern entsprechen und eine genetische Definition abgeben. Das hölzerne Eisen soll hier besagen, dass es dem Autor nicht gelingen kann, von den Einzelfällen – „Person“ – zum allgemeinen „Typ“ zu kommen, ohne den Geist zu bemühen. Er tut so, als wäre „Typ“ eine Summe oder Aggregation, eine ganze und rein materiell aufgefüllte Liste. Er ist aber sehr viel mehr, er ist hoffnungslos abstrakt. Das sieht er auch und behauptet in seiner Not, der typische Fall sei so gut wie der individuelle. Den individuellen Fall könnte er noch kasuistisch, mit einer Einzelfallbesprechung, nachweisen. Und wie kommt er nun zu einer Verallgemeinerung (Typ)? Nur mit seinem Zauberwort „eurasiatischer Typ“. Und das ist auf jeden Fall geistig, aber in einer ungeistigen Variante und damit bizarr. Auch dies ein hölzernes Eisen, von dem er sich nicht befreit. Wer einen Standard, hier also den eurasiatischen Typ, ansetzen will, muss ihn definieren. Ein Kind baut ein Standard-Gesicht auf, das ihm erlaubt, verschiedene Gesichter als Gesicht zu erkennen, indem es etwa einhundert verschiedene Gesichter gesehen und „verarbeitet“ hat. Das ist in etwa vergleichbar mit den Protokollsätzen, die die Astronomen im 16. Jahrhundert mühselig und nächtelang in dicken Folianten aufschrieben, um zu Gesetzen zu kommen. Cortes, Columbus und der belgische König Leopold und der ganze Zivilisationspessimismus können da nicht ausreichen, um zur Verallgemeinerung voranzuschreiten. „Dieser Typ bringt Gewalt und Vernichtung über die Welt.“ Griechische Schrift und Zentralperspektive seien schuld. Es sind alles reine Behauptungen ohne Beweiskraft. Wer bei allgemeinen Sätzen beginnt, muss die schlagenden Einzelfälle nachliefern, bis alles plausibel erscheint. Vor allem, wenn für die kulturelle und zivilisatorische Welt der Determinismus behauptet wird, kann das ja nicht so schwer sein. Der Positivist schaut sich aber zuerst die Einzelfälle an und fasst sie dann verifizierend zusammen. Für ihn ist der deduktive Satz unmöglich, der so beginnt: „Die Europäer werden zu Mördern, weil…“ Denn er beginnt den circulus vitiosus, der besagt, der Autor setzt voraus, was er belegen will. Er weiß schon, wer ein Mörder ist, linke Seite, und wird von der Definition auf der rechten Seite absolut nicht enttäuscht, die ihm auch sagt, wer ein Mörder ist.

Somit also schon formal ein unmöglicher Satz, weil eine verwertbare Zahl von Protokollsätzen fehlt und sowieso ein unmöglicher Inhalt vorliegt. Ein bisschen morden geht da schon eher. Freud war da sehr vorsichtig und meinte, wir sind alle der Aggression fähig, also bessert euch, aber es wird nicht gehen. Kain erschlug Abel, weil er glaubte, einen Grund dafür zu haben. Er hätte keinen gehabt, wenn die beiden eine Kooperative aus einer Erbengemeinschaft heraus gegründet hätten, in einer Kolchose ihr zu erwartendes ererbtes Privateigentum aufgehoben hätten. Es ist so einfach, Morde zu verhindern, man muss nur das System wechseln, die Lebensumstände, manchmal eben auch den Ehepartner! Es gibt eine 9fache Mörderin, die immer dann aktiv wurde, wenn sie mit der Rente ihres jeweiligen Mannes (sie hat ihre Opfer immer wegen der Rente geheiratet) nicht mehr für ihre zahlreiche Familie klar kam. Eine individuelle Rentenerhöhung etwas außerhalb des vorliegenden Systems hätte sich doch gerechnet, humanitär. Die Argumentation lautet: Die Bevölkerung dieses geopolitischen Raumes wurde auf eine Weise durch Kulturtechniken und Technologien derart konditioniert, dass es ihr nicht nur leicht fiel, Morde zu begehen. Da sie es ausgiebig getan habe, wird daraus der Schluss gezogen, sie waren Mörder, die dazu aufgrund ihres Charakters und ihrer Geschichte determiniert waren. Der Soziobiologe würde sagen, sie hatten und haben alle das Mördergen. Erworbene Eigenschaften aber zu vererben, ist ein dorniges Zeitproblem der Biologen, läuft aber unter der überschrift Anpassung. Was ist ein materiell definiertes Milieu, in dem Mord ein Selektionsvorteil ist. Der wilde Westen? Der Mensch hat darauf wirklich eine schlagende Antwort gefunden. Der 30jährige Krieg, das war die Dauer einer Generation, war so ein erfolgversprechender Weg in diese Richtung. Der Mensch hat ihn beendet und ist so der Selektion zuvorgekommen. Er hat gesehen, ante oculos, dass ein Land keinen Sinn macht, dass nur aus Ermordeten mit der dummen Eigenschaft besteht, die Sieger wegen Leblosigkeit nicht mehr ernähren zu können. Als ein Bundesgenosse, eine Stadt, Verrat an den Assyrern verübte, wurde der ganzen Bevölkerung die Haut abgezogen. In Mittelamerika wurde Gefangenen zu Tausenden mit dem Obsidianmesser das Herz aus der Brust geschnitten. Mord war das nicht, es war vermutlich eine fiese Anstrengung. Es war in jedem Fall eine grässliche Anstrengung, die nur durch einen Dimensionswechsel vom konkreten Geschehnis auf der realen Ebene zum Mentalen gerechtfertigt war. So ein Dimensionswechsel gilt grundsätzlich als ein Zeichen von Intelligenz. Es war die abstrakt-logische Dimension politischer oder religiöser Klugheit und Berechnung, mit diesem Verhalten glaubte man Schlimmeres zu verhüten. Angst und Schrecken waren die äußere und äußerste Klammer des Riesenreichs. Diese Art von Logik muss der Mensch früh gelernt haben und ist aus seiner Anthropologie bis heute nicht verschwunden. Sie lag noch der Domino-Theorie der Amerikanischen Außenpolitik zugrunde. Sie mögen mich hassen, Hauptsache sie fürchten mich (bei Cicero zitiert).

Da folgt man nicht der Linie einer seelischen Krankheit, einer sadistischen Perversion, sondern hat sich etwas eingebrockt, was manches Mal schlimmer ist als die Eroberung selbst und das man Logik und Konsequenz nennt. Wer A sagt, muss auch B sagen. über den materiellen Feldern von konkretem Mord und Totschlag gab es immer eine Sinnebene. Mit ihr müsste sich der Positivist auseinandersetzen. Das hat Sigmund Freud versucht, als er den Aggressionstrieb des Menschen in seiner individuellen Ich-Entwicklung als schlimme Tragödie festmachte. Damit abfinden wollten sich die Forscher nicht und sahen in der Aggression ein erlerntes Programm. Das aggressionsfreie System will man erreichen, indem man aggressionsfrei ist.

Es gibt eine Psychologie, warum Logik im Dimensionswechsel weg vom Konkreten angewendet wird. Sie hat etwas mit dem Bedürfnis zu tun, nicht in einer chaotischen Welt zu leben. Das „wilde Denken“ hat seine Logik, ist aber wissenschaftlich unfruchtbar. Unsere Logik ist wissenschaftlich fruchtbar, moralisch aber unverantwortlich. Moral war so gar nicht vorgesehen und ist daher Zufall und Glücksache geblieben.

Hätte sich der Herr mehr als Künstler, als der er sich ja schon mit der Schöpfung erwiesen hatte, zeigen wollen, wäre im Paradies bald der Teufel los gewesen. Man kann zu der Annahme gelangen, dass das unordentliche Denken, das sich bei Kindern und anderen phantasiebegabten Menschen zeigt, seinen Charme verliert, wenn der Wissenschaftler aus welchen Gründen auch immer es wie Würztabak unter seine Ausführungen mischt und im übrigen jeder Mensch annimmt, sein privates „wildes Denken“ sei genau das richtige, bekömmlich für alle.

Schon die Paradiespforte, die fatalste und irgendwie rücksichtsloseste Pforte unserer Weltgeschichte, musste es geben, wenn es den fatalen Baum gab. Sie nicht einzuplanen, wäre unlogisch gewesen. An ihrer logischen Notwendigkeit erkannte der Herr, der ja auch die Kausalität erschuf, dass der Baum der Erkenntnis auch ihn daran erinnert, dass nichts folgenlos in der Welt bleibt. Nur wenn in dieser Welt nicht „auf A folgt B“ gelten soll, und das ist die chaotische Welt, hätte man den Menschen nicht aus dem Paradies vertreiben können. Er hätte sich rasant vermehrt, und Lebewesen, die sich in einem eng umschriebenen Raum vermehren, fallen schließlich übereinander her. Darum muss es heißen, die schreckliche Pforte führte ab in die Freiheit, let my people go. Freiheit hat immer eine Bedeutung, hier heißt sie, verdammt zur Selbstgestaltung, was auch heute noch nicht bei jedem Anklang findet. Das war Logik, wie wir sie heute noch kennen. Sie erlaubt aber auch den Krebsgang auf der geistigen Ebene. Denn es folgt auf die christliche Raubmord-Lust der Sklaverei in Afrika die Rücknahme dieser Lust. Aufklärung, Abolition, Pamphlete und ein Gerichtsurteil, der Mensch sei keine Ware, führen ab 1807 zu ihrem Verbot. Wenn der Mensch sich bessern kann, unterliegt er nicht den Determinanten einer Apparatepsychologie und einer sachlich eingeleiteten Handlungslogik. Die nach dem Völkerbund ins Leben gerufenen internationalen Organisationen sind nicht gesunde Antworten auf krankhaftes Handeln. Sie sind Ausdruck dafür, dass der Mensch verhängnisvolles Handeln mit seiner tödlichen Logik erkennt und es besser haben will. Er kann sein zeitlineares Handeln aufheben, sich neu imaginieren und erfinden. Der englische Kulturhistoriker Toynbee hat deswegen eine Sinus- oder Cosinus-Kurve für das Schicksal des Menschen angesetzt, gegen das Konzept eines „Untergangs des Abendlandes“ bei Eduard Spranger. Hier wird die Meinung vertreten, die Geschichte, die der Mensch sich gestaltet hat, führe ausweglos in seinen selbstverschuldeten Untergang. Sie hat ihn entkernt. Alles Schlimme wurde in seinen Körper materiell eingeschrieben und bestimmt kausal über die Eigenschaften der Materie das zeitlich Folgende. Die meisten Matrosen-„Körper“ im 16. Jahrhundert auf Entdeckungsfahrt hatten freilich Skorbut und es fielen ihnen die Zähne aus, bevor sie überhaupt Land sahen. Sie wollten nichts wie heim, das ist überliefert. Die vielen, die aber nicht Mörder wurden, taten es vielleicht aus Mangel an Gelegenheit. Nicht jeder kam in die Karibik und auch nicht nach Afrika. Aus gläubiger überzeugung aber auch, dem 5. Gebot folgend, aus Abscheu vorm Schlachten. Aus Menschlichkeit. Aus Hemmung vor dem übertöten, was eine Kulturleistung ist und nicht selbstverständlich. Dafür gibt es ein schlagendes Argument. Der Kampf gegen die Grausamkeit der Sklaverei war erfolgreich, trotz der Erfindung der Zentralperspektive, trotz der auf Geographie bezogenen Technologien. Hier wurde der Mensch nicht von einem wilden und nicht mehr von seinem wüsten Denken gelenkt Mit einer Geisteswissenschaft, die den Geist durchstreicht und durch Positivismus ersetzt, wird das erst recht nicht erreicht. Es blieb bei einem Versuch und ist heute nicht mehr als ein geistreiches Spiel um den Verlust einer materialistischen Utopie. Wenn der Esel sich das Löwenfell überwirft, sagt die Fabel bei äsop, ist er natürlich nicht pervers. Er hat etwas begriffen, aber nicht ganz. Er will etwas, aber er kriegt es nicht. Denn gerade auch Löwen werden zur Beute gemacht. Von ihren geliehenen Begriffsnetzen.